Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen

Ein Beitrag zur Komplexität an Knotenpunkten innerhalb geschlossener Ortschaften - Sicherheit im Straßenverkehr für Kinder, Senioren und Menschen mit Mobilitätseinschränkungen

Kurzfassung

Das Sicherheitsmanagement der Straßenverkehrsinfrastruktur kann grundsätzlich in präventive und reaktive Verfahren unterteilt werden. im bestehenden Straßennetz kommen i. d. R. reaktive Verfahren zum Einsatz, die vorwiegend betriebliche Mängel oder Unfallhäufungen identifizieren und darauf reagierend Maßnahmen zur Verbesserung ableiten. Ein formalisiertes und standardisiertes Verfahren, dass auch unabhängig vom Unfallgeschehen Sicherheitsdefizite im Bestand identifizieren kann und dabei sämtliche Aspekte der Verkehrssicherheitsarbeit berücksichtigt, wird es mit den in der Erarbeitung befindlichen und für 2013 geplanten Empfehlungen für die Durchführung eines Bestandsaudits von Straßen geben. Eine vollständige Überprüfung des bestehenden Straßennetzes ist allerdings allein aufgrund begrenzter personeller und finanzieller Ressourcen nicht durchzuführen. Das Bestandsaudit soll u. a. daher anlassbezogen zum Einsatz kommen.

Im innerörtlichen Straßennetz sind Knotenpunkte Orte mit hohem Risikopotenzial für die Verkehrsteilnehmer. im Weiteren wird oftmals die Komplexität der Verkehrsanlage als Unsicherheitsfaktor und mögliche Ursache für Unfälle angeführt. Somit könnte die Komplexität der Anlass sein, Knotenpunkte detailliert im Rahmen eines Bestandsaudits zu überprüfen, um auch präventiv die Verkehrssicherheit im Bestand zu erhöhen und Unfälle zu vermeiden. Unklar ist jedoch, wie und auf welcher Basis komplexe Knotenpunkte identifiziert werden können und ob die Komplexität einer Verkehrsanlage das Gefährdungspotenzial zum Ausdruck bringen kann.

Die vorliegende Arbeit leistet daher einen Beitrag zur Komplexitätsforschung an Knotenpunkten. Ein Ziel liegt in der zukünftigen Identifizierung von komplexen Knotenpunkten innerhalb geschlossener Ortschaften, die als Kandidaten für ein durchzuführendes Bestandsaudit besonders in Frage kommen. im Weiteren wird der Frage nachgegangen, ob und in welcher Weise die Komplexität an Knotenpunkten mit dem Unfallgeschehen in Verbindung steht. Mit Blick auf eine nachhaltig sichere Gestaltung von Knotenpunkten und unter Berücksichtigung des demografischen Wandels, wird ein weiterer Schwerpunkt der Untersuchung auf die Belange von Kindern, Senioren und Menschen mit Mobilitätseinschränkungen gelegt.


Um die Anforderungen an die Gestaltung von Knotenpunkten präzisieren zu können, wurde zunächst eine Grundlagenrecherche zu den spezifischen psychischen und physischen Fähigkeiten der intendierten Zielgruppen durchgeführt. im Weiteren dienten makroskopische Unfallanalysen, Sicherheitsanalysen ausgewählter Knotenpunkte und Verhaltensbeobachtungen im Realverkehr dazu, prototypische Merkmale und Situationen an Knotenpunkten zu identifizieren, die vor allem für Kinder, Senioren und Menschen mit Mobilitätseinschränkungen komplexe Aufgaben darstellen.

Im Rahmen der Untersuchung konnten bekannte Einflussfaktoren. die gerade zu einer Gefährdung der genannten Personengruppen führen, sicher verifiziert werden. Dazu zählen vor allem die Gewährleistung der Sichtbeziehungen, die regelwerkskonforme Gestaltung von Verkehrsanlagen, insbesondere Überquerungsanlagen und Radverkehrsanlagen, sowie die gesicherte Führung von Linksabbiegern an lichtsignalgeregelten Knotenpunkten.

Die beobachteten Konfliktsituationen und identifizierten Sicherheitsdefizite‚ die auch zu Unfällen führten, wurden an Knotenpunkten im Bestand aufgenommen. Deren Gestaltung entsprach in vielen Fällen nicht den Planungsempfehlungen aktueller Entwurfsregelwerke und somit nicht dem Stand der Verkehrssicherheitstechnik. Dies unterstreicht den Bedarf eines Bestandsaudits.

Zur Bestimmung und Beurteilung der Komplexität an Knotenpunkten wurde ein Verfahren konzipiert, das auf allgemein anerkannten Merkmalen der Komplexität beruht und einen Komplexitätsgrad ausgibt. Die zugrunde Iiegenden Merkmale Umgebung, Vernetztheit, Intransparenz, Eigendynamik, Zeitdruck, Zielpluralität und Handlungsmöglichkeiten werden dabei zunächst hinsichtlich ihrer eigenen Komplexität (Ausprägung) mithilfe von möglichst messbaren oder beurteilbaren Kennzeichen der Situation am Knotenpunkt beurteilt.

Mit Hilfe dieser Vorgehensweise wurden Komplexitätsgrade für Knotenpunkte und für konkrete Situationen, die insbesondere aus Sicht der intendierten Zielgruppen komplexe Aufgaben darstellen, bestimmt. Die Komplexitätsgrade dienten einerseits zur vergleichenden Darstellung der Komplexität an den betrachteten Knotenpunkten und andererseits bildeten sie die Grundlage, um den Zusammenhang zwischen der Komplexität und dem Unfallgeschehen zu untersuchen. Das gewählte Verfahren stellte dabei einen möglichen und plausiblen Ansatz dar, den es im Lauf der Untersuchung zu evaluieren galt.

Im Ergebnis zeigte sich, dass das Verfahren und die gewählte Vorgehensweise grundsätzlich zu plausiblen Ergebnissen führen und Knotenpunkte hinsichtlich ihrer Komplexität beurteilen können. Auf Basis der vorliegenden Erkenntnisse konnten allerdings nicht alle Aspekte abschließend beurteilt werden.

So ist die Zeit, die einem Verkehrsteilnehmer zur Verfügung steht, um die Situation zu erfassen und eine angemessene Entscheidung zu treffen, ein Faktor, der die Komplexität beeinflusst. Sensitivitätsbetrachtungen‚ die dem Merkmal Zeitdruck eine höhere Gewichtung zukommen ließen, führten im Ergebnis zu Komplexitätsgraden, die die Situation vor Ort besser abbilden konnten. Die Frage, wieviel Zeit Verkehrsteilnehmer mit ggf. unterschiedlichen Fähigkeiten benötigen, um die jeweilige Situation angemessen beurteilen zu können, muss an dieser Stelle offen bleiben. In fortzuführenden Forschungen sollte daher verstärkt die Abhängigkeit der Merkmale, die die Übersichtlichkeit, die Begreifbarkeit und die potenziellen Konfliktsituationen an Knotenpunkten beschreiben, vom Faktor Zeit untersucht werden.

lm Weiteren scheint das Wissen der Verkehrsteilnehmer um die Komplexität der Situation bzw. die Möglichkeit, eine komplexe Situation zu erkennen, eine Rolle zu spielen. Z. T. führten sehr spezielle Aspekte, in einem zunächst wenig komplex wirkenden Umfeld, zu Unfällen. Andererseits darf die Komplexität auch nicht die Kapazität des Beobachters überschreiten. Der Bereich einer so zu formulierenden „notwendigen Komplexität“ kann allerdings auf Basis dieser Untersuchung nicht abgeleitet werden. Als zielführend werden weitere Untersuchungen angesehen, auf deren Basis sich z. B. psychologische Aspekte umfassender in ein Verfahren zur Bestimmung der Komplexität integrieren lassen.

Ein eindeutiger und belastbarer Zusammenhang zwischen der Komplexität und dem Unfall- geschehen an Knotenpunkten, konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht hergestellt werden. Es haben sich allerdings Tendenzen ergeben, die zu zwei Thesen führen. Beide Thesen sind auf Basis der Ergebnisse begründbar, müssen aber zukünftig verifiziert werden.

These 1: Mit zunehmender Komplexität nimmt das Unfallgeschehen zu.
These 2: Allerdings bedarf es auch einer bestimmten und vor allem erkennbaren Komplexität, um Unfälle zu vermeiden.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Komplexität eines Knotenpunktes oder einer bestimmten Situation Auswirkungen auf das Unfallgeschehen haben kann und sich Potenziell als Hilfsgröße für ein durchzuführendes Bestandsaudit eignet. Um einen möglichen Zusammenhang aber belastbar darstellen zu können, sind zukünftig weitere Anstrengungen erforderlich‚ die auf den Ergebnissen dieser Arbeit aufbauen können

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